In diesem Artikel haben wir es wieder mal mit einer Gretchenfrage zu tun: Darf das eigene Boot Kielbolzen haben oder nicht? Ich zeige hier die Vor- und Nachteile von Kielbolzen auf.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Ballast am Rumpf der Yacht zu befestigen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Ballast einer Yacht – in Form des Kiels – mit dem Rumpf zu verbinden.
- Man kann entweder einen Rumpf mit der Kielform als ein Stück bauen – ob nun Holz oder GFK – und den Kiel von oben nachträglich mit Ballast (Eisen, Blei…) befüllen.
- Man kann einen Rumpf ohne Kiel fertigen, und einen separaten Kiel nachträglich von unten an den Rumpf bolzen mit sogenannten Kielbolzen.
- Bei Stahl- und Aluminiumbooten wird eine dritte Lösung genutzt: Die Kiele werden typischerweise angeschweißt.
Wir konzentrieren uns hier somit auf die ersten beiden Varianten und auf GFK-Schiffe: Ein als ein Teil laminierter Rumpf mit anlaminiertem Kiel versus ein Rumpf mit angebolztem Kiel. Der Einfachheit halber geht es hier nur um klassische Mittelkiele und wir lassen alle anderen Kielformen (Kimmkiel, Schwenkkiel etc.) außen vor.
Kielbolzen haben Vorteile
Kostengünstig & Flexibel
Kielbolzen haben einige Vorteile, besonders für Werften. Yachten mit angebolztem Kiel sind günstiger zu produzieren als Yachten, die aus einem Stück laminiert werden. Die Negativformen für den Laminierprozess sind kleiner und kosten daher weniger, denn der Kiel wird schließlich an den fertigen Rumpf angebracht.
Ein weiterer Vorteil für die Werft: Sie kann den gleichen Rumpf nutzen, um verschiedene Varianten der gleichen Yacht auf den Markt zu bringen. Performance-Kiel, Flachkiel, Flügelkiel, Kiele aus Eisen und Blei für unterschiedliche Preise… Somit kann ein größerer Markt bedient werden und es muss nur eine Negativform erstellt werden, um viele verschiedene Bedürfnisse abzudecken. Auch als Endnutzer kann man davon profitieren, indem man sich den für einen selbst besten Kiel aussucht.
Kielbolzen haben auch Nachteile
Stabilität
Klarer Nachteil einer Yacht mit Kielbolzen: Die Stabilität der Konstruktion. Segelt man in wind- und wellenarmen Revieren mit immer genug Wassertiefe, ist das kein Problem. Gehören Grundberührungen und Schwerwetter zum Programm, wie eben häufig bei Weltumsegelungen, sieht es leider anders aus.
Die Bauqualität hat einen großen Einfluss auf die Stabilität. Manche Werften bauen so, dass der Kiel einen breiten Flansch am oberen Ende hat, mit dem er in einer entsprechenden, verstärkten Vertiefung im Rumpf sitzt. Das sorgt für eine gleichmäßigere Kraftverteilung. Doch oft wird hier gespart und der Kiel wird einfach unten angebolzt ohne Vertiefung im Rumpf. Auch die Art der Verbolzung ist nicht bei allen Werften auf gleichem Niveau: Manche verbolzen nur, manche verkleben und verbolzen den Kiel. Manche bolzen in den nackten Rumpf, andere über eine Edelstahlplatte im Inneren, um die Last gut zu verteilen. Hier sollte man also genau hinschauen, wenn man sich für eine Yacht mit Kielbolzen entscheidet.
Alterung
Apropos genau hinschauen: Der Zustand von Kielbolzen bei einem Gebrauchtboot ist schwer zu beurteilen. Edelstahl rostet bekanntlich nicht, somit erkennt man eine Materialschwäche oft erst, wenn es «Klack» macht und der Edelstahl in zwei Stücke bricht. Einer meiner ehemaligen Kunden hat tatsächlich die Kielbolzen und alle Püttinge seiner Yacht entfernen und röntgen lassen, um den Zustand zu beurteilen – und sich für einen neuen Satz Bolzen entschieden.
Sehr alte Boote haben Stahlkielbolzen, hier ist eine optische Inspektion einfacher als bei Edelstahl.
Ohne in Panik zu geraten, aber: Kielverluste passieren!
Des Weiteren sind Kielbolzen meist nichts anderes als einlaminierte Gewindestangen. Diese sind hauptsächlich für die Aufnahme axialer Kräfte gemacht. Bei Krängung und Kollision treten aber Kräfte in einem Winkel zur Achse der Gewindestange auf.
Außerdem kritisch ist, dass bei einer Grundberührung die Kräfte, die auf den Kiel wirken, direkt auf die Kielaufnahme übertragen werden. Bei günstig gebauten Yachten ist die Kielaufnahme einfach der Rumpf!
Doch Preis ist offenbar kein Kriterium, schließlich sank 2015 eine Oyster wegen Kielverlust, was nicht auf ein Versagen der Kielbolzen zurückgeführt wurde und auch nicht auf eine Grundberührung, sondern ein Versagen der Kielaufnahme, also der Strukturen am Inneren des Rumpfes (Stringer), die fehlerhaft laminiert worden waren. Nun mögen einige sagen «Unfälle können passieren, das sind Ausnahmen» – doch wurden zwischen 1973 und 2015 sage und schreibe 73 Kielverluste verzeichnet (Quelle: Yacht 5/2016). Verglichen mit der Anzahl von Yachten, die erfolgreich mit Kielbolzen durch die Welt segeln, sind wir hier im Promille- oder Promyriadebereich, und doch ist die absolute Zahl nicht klein. Eine Yacht kann auch aus 100 anderen Gründen sinken, doch die Gefahr eines Kielverlusts kommt bei einer Yacht mit angebolztem Kiel noch obendrauf. Ein Risiko weniger, das bei Yachten mit integriertem Kiel nicht vorhanden ist.
Vorteile eines integrierten Kiels
Sicherheit
Eine Yacht mit integriertem Kiel bringt als größten Vorteil die Robustheit mit. Bei Grundberührungen muss man keine Angst haben, den Kiel zu verlieren oder die Rumpfstruktur zu beschädigen. GFK kann Zugkräfte viel besser tragen als Druckkräfte; durch die integrierte Konstruktion werden die Lasten des Kiels deshalb in der Regel deutlich günstiger in den Rumpf eingeleitet als bei untergebolzten Kielen. Somit: Ein einlaminierter Kiel, ob nun Finne, gemäßigter Langkiel oder Langkiel, ist stabiler als eine untergebolzte Konstruktion und dürfte heftige Grundberührungen besser überstehen als ein gebolzter Kiel.
Wartung
Auch pflegeleichter ist ein überlaminierter Kiel: Schließlich haben wir keine Kielnaht, die gepflegt und regelmäßig erneuert werden möchte. Wir haben keine Kielbolzen, die rosten oder korrodieren können und getauscht werden möchten.
Und wir haben keinen freiliegenden Eisenkiel, der rostet und gesandstrahlt und neu aufgebaut werden möchte. Angebolzte, freiliegende Kiele sind Verschleißteile, die wie Rigg, Segel und Co regelmäßig vom Fachmann gewartet werden sollten. Beim überlaminierten Kiel haben wir ein Unterwasserschiff, welches komplett aus GFK besteht (von Holzbooten soll hier keine Rede sein, da wir niemandem zu so etwas raten würden, der segeln möchte und nicht nur basteln).
Platz
Bei integrierten Kielen haben wir einen weiteren Vorteil: Platz. Der Rumpf ist unten nicht flach sondern geht in den Kiel über (sog. S-Spant). Unten im Kiel ist der Ballast gelagert und meist mit Polyester ausgegossen. Darüber befindet sich oft noch ausreichend Platz für Wasser- und Dieseltanks – selbst in Kurzkielern. In Langkielern aufgrund der Länge haben wir natürlich noch mehr Platz für Tanks. Volle Tanks tragen dann noch zusätzlich zum Ballast der Yacht bei, denn sie befinden sich schön weit unten im Schiff und nicht unter den Kojen oder Sitzbänken.
Achtung – nicht alles ist so, wie es scheint
Nur weil man von außen keine Kielnaht sieht, heißt es noch lange nicht, dass man keine Kielbolzen hat! Es gibt einige Yachten, die eine Kombination von beidem haben – der Kiel wird in so einem Fall angebolzt und nachträglich überlaminiert. In diesem Fall hat man keine lästige Kielnaht und keinen rostigen Eisenkiel, aber man sollte dennoch regelmäßig nach den Bolzen schauen.
Auch ein integrierter Kiel muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Es kommt auch hier darauf an, wie das Schiff gebaut wurde. Wurde beispielsweise der Rumpf wirklich aus einem Stück gefertigt, oder zwei Rumpfhälften nachher miteinander verbunden? In so einem Fall hat man wieder neue potentielle Risiken bei einem Maleur.
Mögt ihr Kielbolzen?
Die Frage «Kielbolzen – ja oder nein?» hat keine abschließend richtige Antwort. Ich persönlich bevorzuge für weltweite Fahrt Segelyachten ohne Kielbolzen, da man so gewisse Risiken verringern kann. Doch welchen Preis zahlt man? Ein Segelboot ist immer auch ein Kompromiss. Kann man die gewünschte Cockpitform, die Ketschtakelung, von der man träumt, oder die präferierte Anordnung der Kojen im Innenraum nicht realisieren, nur weil man sich in der Kielbolzen-Frage zu sehr versteift hat und somit viele Yachten durchfallen? Das wäre vielleicht zu viel des Guten.
Als euer Sparringspartner stehe ich euch bei der Suche nach der richtigen Yacht zur Seite und führe mit euch genau solche Diskussionen wie diese hier. Damit ihr nachher sagen könnt: Ja, unser neues Boot ist ein super Kompromiss und wir haben es geschafft, die allermeisten unserer Anforderungen abzudecken.
Kontaktiert mich, um meine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich freue mich auf den Austausch mit euch!