Seetüchtigkeit von Yachten einschätzen? Das Comfort Ratio hilft

In modernen Yachtzeitschriften werden bei Yachttests manchmal Werte wie die Segeltragzahl angegeben. Auch die relative Verdrängung (Verdrängung/Länge) wird oft genannt. Diese Zahlen bewerten vor allem das Geschwingkeitspotential einer Yacht und sind daher für Fahrtensegler und besonders Blauwassersegler nicht unbedingt von Interesse. Hier ist eine komfortable Bewegung einer Yacht viel wichtiger.

Geschwindigkeit ist auf Langfahrt nicht so wichtig wie Komfort

Blauwassersegler, die schon einige Jahre mit einem guten Boot unterwegs sind, werden euch bei einem Ankerbier vermutlich niemals sagen: «Wow, mein Boot segelt so schnell» sondern eher «Wow, die Bewegungen meines Boots sind einfach unglaublich angenehm». Fahrtensegler bewerten Boote eher nach Komfort und Bequemlichkeit beim Segeln. Wer wochenlang nur Blau um sich herum hat, dem sind die Schiffsbewegungen unter Umständen wichtiger, als dass er einen Tag früher ankommt. Geschwindigkeit ist nicht völlig ausser Acht zu lassen, doch scheint sie im Bau neuerer Boote zum wichtigsten Faktor geworden zu sein – neben der Höhe am Wind, die ein Boot laufen kann, die aber für einen Fahrtensegler auf der Barfussroute mit vorwiegend achterlichen Winden komplett irrelevant ist. Wer mit seinem Boot in hoher Ozeandünung segelt, wird ein Boot schätzen, dass nicht das schnellste von allen ist, sondern dessen Bewegungen in der Dünung gemässigt sind. Wer sich nachts mit 10 Kissen in der Hundekoje einkeilen muss, damit er morgens keine blauen Flecken hat, hat das falsche Boot. Gerade Anfänger, die als erste Reise direkt einen Schlag in die Karibik machen statt vorher 20 Jahre Erfahrung zu sammeln, sollten ein Boot wählen, das nicht auf Geschwindigkeit ausgelegt ist sondern auf Komfort und gemässigte Seebewegungen. Der Magen und die Nerven werden es danken.

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Wie lässt sich der Komfort beim Segeln einschätzen?

Ok, sagen wir also, man möchte kein schnelles sondern ein komfortables Boot haben – woran kann man erkennen, ob ein bestimmtes Boot das erfüllt? Hier kommt das sogenannte Comfort Ratio zum Zuge. Ted Brewer, ein bekannter Yachtdesigner aus Kanada (z.B. Whitby 42) und Autor des sehr empfehlenswerten Buchs «Understanding Boat Design», hat das Comfort Ratio entwickelt, weil es in seinen Augen einfach keine Zahl gab, die widerspiegelt, was für Fahrtensegler wichtig ist.

Also, nun geht’s los mit Mathe. Keine Sorge, nicht kompliziert und gleich vorbei!

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Diese Formel, die Ted Brewer entwickelt hat, soll dazu dienen uns ein Gefühl zu geben, wie schnell und wie abrupt ein Boot auf Wellen reagiert. Wenn wir uns die Vorzeichen in der Formel für das Comfort Ratio angucken, werden wir feststellen, dass schwerere Boote ein höheres Comfort Ratio erzielen, da mehr Gewicht die Bewegungen des Boots dämpft. Gleichzeitig hat die Wasseroberfläche des Boots (Kombination aus Länge und Breite) einen negativen Effekt auf den Komfortindex. Je länger und breiter ein Boot bei gleichem Gewicht, desto niedriger das Comfort Ratio. Das macht Sinn, denn bei einer grösseren Fläche, auf die Wellen treffen können, wird das Boot auch mehr hin und her geschubst. Boote, die wenig wiegen und eine grössere Wasserlinie haben werden im Schnitt von Wellen mehr hin und hergeschubst, da es eine grössere Fläche gibt, gegen die Wellen stossen können und weniger Gewicht, was die Bewegung bremst.

Natürlich haben längere Boote auch immer grössere Wasseroberflächen als kürzere Boote, doch das zusätzliche Gewicht, das diese Boote fast immer haben, negiert diesen Effekt. Somit bevorzugt der Komfortindex in gewisser Weise lange Boote gegenüber kurzen (wobei Breite wiederum etwas Negatives ist). Wenn es nach dem Comfort Ratio geht, gewinnen schwere, schmale Boote mit Decksüberhang vorne und achtern, sodass die Wasserlinie möglichst kurz ist. Daher sollte man mit dem Comfort Ratio auch nur ähnlich grosse Boote von ähnlichem Typ miteinander vergleichen.

Was sind erstrebenswerte Werte des Comfort Ratios für Fahrtensegler?

Ihr könnt für ein Boot, das euch interessiert, ganz einfach das Comfort Ratio selber berechnen, wenn ihr das Gewicht, die Länge der Wasserlinie, die Länge über alles und die Breite habt.

Da Ted Brewer nicht im metrischen System aufgewachsen ist, ist in seiner Formel für das Comfort Ratio natürlich alles Fuß und Pfund ausgedrückt, was es für uns Europäer nicht einfacher macht. Ihr müsst also erst umrechnen von Metern auf Fuss und von Kilos auf Pfund, und dann die oben genannte Formel anwenden.

Oder aber, viel einfacher: Ihr schlagt auf der Seite https://sailboatdata.com/ das Comfort Ratio für über 8700 Segelboote einfach nach, ohne selber etwas berechnen zu müssen.

Als Richtwerte für die Einschätzung eines Comfort Ratios könnt ihr diese hier benutzen:

  • Comfort Ratio unter 20: Leichtes Regatta-Boot
  • Zwischen 20 und 30: Küstentaugliche Yacht
  • 30 bis 40: moderater Blauwassersegler
  • 40 bis 50: Schwerer Blauwassersegler
  • Über 50: Extrem schwerer Blauwassersegler

Für eine ausgedehnte Segelreise mit Aufenthalten auf Ozeanen sollte das Comfort Ratio in unseren Augen schon über 30 liegen. Alles andere wäre mir persönlich zu unbequem. Allerdings halten wir Boote mit einem Wert von über 45 wiederum für «lahme Enten», weil sie bei moderaten Winden gar nicht anspringen.

Beispielwerte: Comfort Ratios von bekannten Blauwasseryachten und modernen Yachten

Ein Favorit unter europäischen Blauwasserseglern ist die Hallberg Rassy 352, die ab 1978 gebaut wurde, ein gemässigter Langkieler mit einem Comfort Ratio von 30. Die Hallberg-Rassy 340, die seit 2019 gebaut wird und fast gleich lang ist, hat nur noch ein Comfort Ratio von 23. Zum Vergleich (ja, auch wenn man unterschiedlich lange Boote nicht direkt miteinander vergleichen soll): Maries früheres Boot, eine Bries 27 («Biber»),  hat ein Comfort Ratio von 25. Das ist auch mehr als bei der Bavaria 40 Ocean, die ebenfalls ein Comfort Ratio von 23 hat – der Name ist nicht Programm. Natürlich lässt sich das auch am Unterwasserschiff ablesen (einen Blogpost zum Thema Kurzkieler vs. Langkieler haben wir kürzlich verfasst). Doch das Comfort Ratio bietet einen zusätzlichen schnellen Blick auf die Seetüchtigkeit eines Boots.

Klassische Blauwasseryacht

Nachteile des Comfort Ratios

Wie schon oben beschrieben, sollten mit dem Comfort Ratio nur ähnlich grosse Boote verglichen werden, weil die Werte verzogen sind – grössere Boote bekommen fast automatisch einen höheren Wert.

Ausserdem ignoriert das Comfort Ratio die Form des Unterwasserschiffs. Ein Langkieler verhält sich in schwerer See sehr anders als ein Kurzkieler – klar ist dieser in fast jedem Fall auch einiges schwerer als ein Kurzkieler und bekommt daher einen höheren Comfort-Ratio-Wert. Doch wäre es theoretisch auch möglich, dass ein sehr schwerer Kurzkieler einen höheren Wert bekommt als ein gleich langer aber leichterer Langkieler, obwohl dieser angenehmere Seebewegungen aufweist. Unwahrscheinlich, aber dennoch. Das Comfort Ratio ist eben auch nur eine approximative Zahl.

Wenn wir über das Comfort Ratio sprechen, geht es immer um die Bewegung des Boots bei schwerer See, so wie wir sie bei einer Blauwasserreise oft antreffen. Was aber, wenn wir ein Boot in ziemlich flachem Wasser bewegen? Auf Binnengewässern, dem Mittelmeer und der Ostsee werden Segler vor allem bei viel Krängung seekrank. Um die Krängung zu reduzieren, kann man ein Boot breiter machen – eben genau das, was ein Boot bei viel Seegang weniger komfortabel macht. Ein schmaleres Boot, was sich mehr auf die Backe legt, mag einem in schwerer See bequemer vorkommen, aber weniger bequem als ein breiteres Boot, wenn man ohne viel Dünung unterwegs ist.

Und für die Katamaran-Liebhaber unter euch: Bei Katamaranen funktioniert das Comfort Ratio nicht. Auch für Katamarane gibt es Zahlen nach denen man sich richten kann – schaut euch hierzu mal die Bruce Number (BN) an.

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